Rundschreiben: Verlust

«Siehe, in meine beiden Handflächen habe ich dich eingezeichnet.»

«Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren in Ewigkeit, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben. Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben. Ich und der Vater sind eins.»

Heute möchte ich einige Gedanken und eigene Erfahrungen zum Thema “Verlust” mit dir teilen. Und du erfährst, wie es um meine Blutwerte steht und wie es mir jetzt, nachdem ich schon über eine Woche zu Hause bin, ergeht.

Hallo liebe Familie und Freunde,

schon früh in unserem Leben machen wir alle die Erfahrung von Verlust, und diese Erfahrung begleitet uns durch das Leben. Vielleicht verlieren wir einen guten Freund, in jedem Fall die Milchzähne, oder ein Lieblingsspielzeug geht kaputt. Über manches lachen wir später, aber wesentlich schlimmere und einschneidende Erfahrungen erleben zum Beispiel Scheidungskinder. Wir kennen vielleicht in unserem Umfeld jemanden, der blind oder taub geworden ist, oder Frauen, die eine Fehlgeburt erleben mussten. Wenn man plötzlich arbeitslos geworden ist, hat man nicht nur die Arbeitsstelle verloren, sondern mancher kämpft mit der Frage nach Selbstwert und Identität. Einer der schlimmsten Verluste ist der des geliebten Ehepartners durch den Tod.

Aber auch eine schwere Erkrankung bringt Verlust mit sich. Verlust an körperlicher Kraft und bestimmter körperlicher und geistiger Fähigkeiten, Einschränkungen hinsichtlich der Mobilität und Freiheit zu reisen oder Sport zu treiben oder Besuche zu machen.

Ich gebe zu, dass es mir manchmal sehr zu schaffen und mich traurig macht, dass ich nun mehr oder weniger seit April auf Wohnung und Krankenhaus sowie Gemeindebesuch und kürzere Besuche im Umkreis beschränkt bin. Seit über einer Woche bin ich aus dem Krankenhaus zurück, und habe schon einige Male geseufzt, dass ich zwar gerne etwas unternehmen würde, aber meine körperlichen Kräfte längst noch nicht dafür ausreichen.

Den Verlust der meisten Kopfhaare kann ich getrost verschmerzen (als Mann über 50 ist es vorbei mit der Eitelkeit 😉), aber dass viele andere Dinge einfach nicht mehr möglich sind, tut manchmal richtig weh. Zumal ich mich seit der Hochdosis-Chemotherapie und Stammzellen-Retransfusion als Hochrisiko-Person sehr vorsichtig in Bezug auf Kontakte und Beziehungen verhalten muss, um Ansteckungen und Infektionen zu vermeiden.

Was hilft mir, deswegen nicht mutlos zu werden und mich heulend in die Ecke zu verkriechen (auch wenn mir manchmal danach ist)? Ich darf mir bewusst machen: Habe ich denn einen Anspruch auf Gesundheit und Bewegungsfreiheit? Kann irgendjemand denn überhaupt dafür garantieren, dass ich morgen noch das habe, was ich heute besitze? Wir haben gerade erlebt, wie schnell Menschen von heute auf morgen durch eine gewaltige Wasserflut alles Hab und Gut verloren haben. Und dann denke ich: Ich darf mich in einer sehr komfortablen Wohnung bewegen, habe jeden Tag mehr als genug an Nahrung und Kleidung, habe eine liebe Ehefrau, die mich tapfer und treu durch das Leid begleitet und für mich sorgt, habe eine großartige Familie, die für uns da ist, und eine christliche Gemeinde, die hinter uns steht, und eine große Zahl von Menschen, die uns begleiten, ermutigen und für uns beten.

Diese Erfahrungen würde ich nicht machen, wenn ich keinen Verlust erlitten hätte durch diese Krankheit. Kann und soll ich da nicht für den Verlust sogar danken? Zusammen mit dem Dank für alles, was ich gerade aufgezählt habe! Das Motto „allezeit für alles danke sagen“ habe ich in dem Blog schon vor einiger Zeit thematisiert. Kann ich auch für Leid danken? Ja, denn ich darf den Blick auf das Gute richten und sehe dann so viele Gründe, dankbar zu sein!

Ein Grund zum Danken ist auch der Arztbericht vom ersten Kontrolltermin vor vier Tagen, am Mittwoch. Wieder sind die Blutwerte weiter angestiegen, so dass die meisten schon im Normalbereich sind. Und die schädlichen Proteine haben sich seit der ersten Messung im April um 94% reduziert, was die Mediziner eine VGPR (Very Good Partial Response) nennen, eine „sehr gute Teil-Antwort“ auf die Therapien. Gemäß dem Arzt kann sich der Wert auch noch weiter verbessern. Und so geht es mir auch von Tag zu Tag besser – auch wenn Geschmack, Appetit und körperliche Kraft noch nicht wie vorher da sind. Und ich brauche erstmal keine Erhaltungstherapie, sondern habe jetzt monatlich einen Kontrolltermin, d.h. der nächste ist Anfang Oktober.

Unsere Enkel bringen uns immer wieder mal zum Lachen: Am letzten Sonntag sahen wir unsere jüngste Tochter, unseren Schwiegersohn und ihre drei Kinder. Naemi wird demnächst 3 Jahre alt. Sie fragte mich: „Opa, warum hast du heute deine Haare nicht angezogt?“ Und später hörten wir von unserer Tochter, dass Naemi abends im Bett lag und sagte: „Ich möchte die Haare auch so wie der Opa.“ Worauf ihr 1½ Jahre älterer Bruder Jakob entgegnete: „Nein, Emi, du hast doch so schöne Locken!“ Ja, sie hat einen ganz besonderen roten Lockenkopf. Aber es erwärmt das Herz, wenn sie so auf kindliche Art ihre Sympathie mit meiner Situation ausdrückt. Sie fragt mich am Telefon auch oft nach meinen Schmerzen, und ob ich noch im Krankenhaus sei. Das tut gut!

Wie geht es dir mit Verlust in deinem Leben? Was für Erfahrungen hast du gemacht, wenn einschneidende Ereignisse dir etwas Liebgewonnenes weggenommen haben? Ich bin gespannt auf eure Beiträge.

Herzliche Grüße
Andreas

 

PS (falls es dich interessiert):

Roland Antholzer gibt in seinem Buch „Trauern und Trösten“ hilfreiche Hinweise auf den Umgang mit Leid, Trauer und Verlust aus biblischer Sicht. Ich habe einen kurzen Auszug angehängt. Das Buch ist 2006 in 2. Auflage bei CLV erschienen und vergriffen, kann aber bei CLV als PDF komplett heruntergeladen werden. Ich kann es nur empfehlen.

Ich habe bei meiner Bekehrung mein Leben Gott gegeben. Damit habe ich jeden Anspruch auf eigenes Leben, auf garantierte Gesundheit, auf materiellen Wohlstand, auf gelingende menschliche Beziehungen und Erfüllung eigener Wünsche aufgegeben.

Das bedeutet auch: Ich kann hier alles verlieren, nur nicht meine Beziehung zu Gott! Denn mein himmlischer Vater hat zugesagt, dass mich nichts und niemand aus seiner Hand reißen kann. Denn er hat mich in seine beiden Handflächen eingezeichnet (siehe der Bibelvers oben). Selbst wenn ich meine, ich hätte Gott losgelassen, hält er mich fest. Sogar wenn ich durch Demenz oder Alzheimer es selbst nicht mehr fasse, verspricht mir Gott in seiner Treue, mich ans Ziel zu bringen.

Und wenn Gott nun meine Hingabe auf die Probe stellt, indem er diese Krankheit zuließ, dann will ich es annehmen; denn ich weiß, dass mein himmlischer Vater für mich nur Gutes im Sinn hat. Ich möchte jeden Tag versuchen, in der Hingabe an ihn zu leben und den damit verbundenen Verlust in Dankbarkeit zu ertragen.

Kommentare

4 Antworten

  1. Lieber Andreas

    Herzlichen Dank für diesen ermutigenden Bericht! Was Du jedenfalls mitnichten verloren hast, das ist Deinen Dir eigenen Humor! … und auch das ist ein Geschenk von oben. Es ist ja letztlich nichts anderes als eine Gelassenheit, die möglich ist, weil wir dem HERRN ganz vertrauen dürfen. Er hält auch die Zukunft völlig in seiner Hand.

    Herzlich in IHM

    Roger

  2. Lieber Andreas

    Ich sehe es auch so, dass ich alle persönliche Rechte aufgegeben habe. Mein einziger Anspruch ist Jesus – und Jesus allein! Ich übe mich täglich in dieser Wahrheit, wenngleich nicht jeder Tag so verläuft, wie ich es gerne hätte. Aber welch eine Gnade, dass ich einen gnädigen und geduldigen Herrn habe!

    Der Herr segne dich und Dietlind!

    Dein Mitbruder
    Marcel

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