Ein paar Gedanken von mir:
In unserer Gemeinde wurde in letzter Zeit oft über Seelsorge bzw. Selbstseelsorge gesprochen, was ich richtig gut finde, da das Thema oft vernachlässigt wird.
Wir leben heute in einer Zeit, wo es einem immer gut gehen muss, wo man meint, ein Recht auf Gesundheit zu haben, wo man ganz schnell dabei ist sich ein paar Pillen einzuwerfen, damit man weiter leistungsfähig ist und funktioniert. — Versteht mich bitte richtig, ich bin nicht gegen Pillen an sich; die haben ihre Berechtigung.
Aber das Leben ist nun mal neben viel Freude und Schönem auch gezeichnet von Trauer, Schmerz, Angst, körperlichem Zerfall, Krankheit, Bedrängnissen (Apg.14,22) und Leid (Phil. 1,29).
Christen folgen einem “Mann der Schmerzen, der mit Leiden vertraut ist” (Jes. 53,3). Damit will ich dich nicht depri machen, sondern vielmehr dich ermutigen, zu diesem Herrn in die Selbstseelsorge zu gehen, der dich wie kein anderer versteht und dir helfen will; der barmherzig und voll innigen Mitgefühls ist (Jak.5,11).
Deshalb hier kurz die 4 Punkte der “Selbstseelsorge” aus unserer Sonntagspredigt (mit ein paar Ergänzungen von mir):
(1) Schütte deine Seele aus vor Gott:
Klag. 2, 19a “Mach dich auf, klage in der Nacht beim Beginn der Nachtwachen, schütte dein Herz aus wie Wasser vor dem Angesicht des Herrn.”
Gott ist an 24 h und 365 Tagen für dich da, du darfst ihm deine Not klagen, deinen eigenen “Klagepsalm” schreiben. Du darfst klagen – aber nicht anklagen: Warum trifft mich dieses Los? Womit habe ich das verdient? Was tut Gott mir da an?
(2) Führe deine Seele mit ihren Gedanken zu Gottes Wort:
Hiob 36,15 “Den Elenden errettet er in seinem Elend, und in der Drangsal öffnet er ihnen das Ohr.”
Ps. 1,2 “Glückselig der Mann, der seine Lust hat am Gesetz des Herrn und über sein Gesetz sinnt Tag und Nacht.”
Gott möchte mit dem, was dir gerade passiert, deine Aufmerksamkeit; er möchte zu dir reden. Du musst dich willentlich entscheiden, Gottes Wort zu lesen und zu beten – so wie Asaph in Ps. 73,16 selbst eine bewusste Entscheidung traf: Jetzt habe ich genug geklagt, jetzt gehe ich ins Heiligtum. Lies sein Wort, denke darüber nach und korrigiere gegebenenfalls dein falsches Denken; sei aktiv um die positive Veränderung deines eigenen Charakters bemüht , wie wir das z.B. in Kolosser 3,1-17 lesen; lass dich durch sein Wort trösten, ermutigen und erbauen.
(3) Führe deine Seele zur Liebe, Souveränität und Gerechtigkeit Gottes:
Judas 1, 20.21 “Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geist, erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes, indem ihr die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwartet zum ewigen Leben.”
Hiob 37,23.24 “den Allmächtigen, den erreichen wir nicht, den Erhabenen an Kraft; und das Recht und die Fülle der Gerechtigkeit beugt er nicht. Darum fürchten ihn die Menschen; er aber sieht keinen an, der sich selbst für weise hält.”
Wir verstehen vieles nicht, können es nicht erklären, schon gar nicht das Leid. Und deshalb bleibe ich am Wort, weil es die Weisheit ist. Gott hat mir seinen Geist gegeben und mit seiner Hilfe kann ich das Wort verstehen und wissen, dass er mich liebt; dass er allmächtig ist und alles in der Hand hält; und dass er gerecht ist und nicht gegen mich ist und mir nichts Böses will.
Es ist schön, von anderen erbaut und getröstet zu werden (das hat seinen Platz, die Lasten der anderen zu tragen Gal.5,2) aber es ist auch meine Aufgabe, mich selbst zu erbauen und selbst in der Liebe Gottes zu erhalten, selbst die Waffenrüstung anzuziehen (Eph.6,11).
(4) Ermutige deine Seele, eine Sicht auf die Zukunft zu haben:
Röm.15,4 “Denn alles was zuvor geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben.”
Vertraue dem, dessen Macht und Weisheit du in der Schöpfung sehen kannst und dessen Liebe du im Wort Gottes und am Kreuz findest.
Was ist die christliche Hoffnung? Du bist jetzt schon geistlich mit dem Herrn verbunden, und in der Zukunft wirst du es auch körperlich sein. Weil er auferstanden ist und lebt, wirst auch du auferstehen und in Ewigkeit leben (Joh.11,25).
Im Alltag hab ich die Erfahrung gemacht, dass ich mir die Zeit für diese Selbst-Seelsorge bewusst nehmen muss. Aber die Investition lohnt sich, denn da hab ich wirklich vom Herrn neue Kraft bekommen. Darum wünsche ich dir für deinen Alltag, dass du das auch schaffst, „damit es dir in allem wohl geht und du gesund bist, wie es deiner Seele wohl geht” (3. Joh. 1,2).
Herzlichst,
deine Dietlind
Hallo ihr Lieben,
seit meinem letzten Brief sind fast zwei Wochen vergangen. Viele haben auf meinen offenen Bericht über dieses Erleben der totalen Erschöpfung und Kraftlosigkeit, und wie mir das zu schaffen gemacht hat, positiv reagiert. Danke dafür! Es ist mir ein Anliegen, nicht zu verschweigen, dass es auch – und das muss ich auch über die zurückliegenden Tage und vor allem Nächte sagen – immer wieder ziemlich schwierige Stunden gibt.
Gegen Ende des 3. Zyklus haben sich einige Nebenwirkungen bemerkbar gemacht, vor allem das Einlagern von Wasser aufgrund der hohen Cortison-Einnahme. Aber was mir noch viel mehr zu schaffen machte, waren wieder verstärkte Rückenschmerzen, die vor allem nachts auftraten. Wenn ich dann aufstehen musste und kaum aufrecht gehen konnte, ohne mich irgendwo abzustützen, und ich nicht so richtig sitzen oder liegen konnte, dann macht es dich schon mal ziemlich mürbe, und es kommen alle möglichen Gedanken, auch nicht so gute. Ja, ich musste selbst praktizieren, worüber ich vorher mit euch nachgedacht habe. „Im Grunde ahnt doch keiner, wie es dir wirklich geht; du bist mit deinen Schmerzen allein. Warum muss das jetzt auch noch kommen?“ Es ist einfach so, dass die Schmerzen wehtun, und die Einschränkung in der Beweglichkeit einen nervt, und darüber traurig zu sein, ist auch völlig normal. Ich jammere dann so ein bisschen über mich selber. Tue mir selbst leid.
Am darauf folgende Tag war ich nicht gut drauf, unleidlich. Da steckt ja das Wort „Leid“ drin. Das ging so zwei bis drei Tage. Natürlich folgten auch Abklärungen mit dem Arzt; der Rücken wurde nochmal geröntgt, und ja, jetzt ist noch ein weiterer der unteren Lendenwirbel etwas eingedrückt. Aber dann wurde gemeinsam beschlossen, die Schmerzmittel noch etwas hochzufahren („ich sei noch auf einem tiefen Niveau“), und weiter mich in Geduld zu üben, bis die Therapie wirkt und später der Körper die Knochen wieder selbst stabilisiert.
In der Zeit war auch unser ältester Sohn mit seiner Frau für ein paar Tage Urlaub bei uns. Wieviel sollte ich ihnen sagen, wenn sie mich fragten, wie es mir ging? Ich wollte sie ja nicht unnötig belasten. Vielleicht musste ich auch an meiner inneren Haltung etwas ändern? Natürlich wollten sie ehrlich Anteil nehmen und mich trösten und ermutigen. Aber das ist auch eine interessante Frage: Wieviel soll ich wirklich über die Details meiner Krankheit und der Auswirkungen erzählen; was ist wirklich wichtig? Vielleicht ist es viel besser, ehrlich über die Erfahrungen der Seele zu reden, als über die körperlichen Details von Behandlungen, Symptomen und Therapien.
Ja, an einem der nächsten Tage musste ich mir am Morgen bewusst sagen: „Nein, du hast zwar Schmerzen und leidest, aber trotzdem darfst du das Gute nicht vergessen. Die Umstände sind nicht schön, aber sie sollen mich nicht bestimmen. Gott hat mir die Freiheit geschenkt, mich zu entscheiden: Will ich mich auf das Negative konzentrieren (und jammern), oder will ich mich trotz der Umstände bei Gott freuen und ihm danken?“
Und so habe ich mir selbst die Worte aus Psalm 103 zugerufen: „Preise den Herrn!, meine Seele! Und vergiss es nicht, was er dir Gutes getan hat!“ Es war bereits besser geworden mit den Schmerzen, und es wurde auch in meinem Inneren heller, und ich konnte mit einer ganz anderen Haltung in den Tag gehen. Da merkt ich erneut, welchen Unterschied das auch in meinem Verhalten, z.B. gegenüber meiner Frau, ausmacht.
An dem Tag habe ich sie liebevoller behandelt und auf sie reagiert, als in den Tagen zuvor. Ja, sie hat recht mit dem, was sie oben geschrieben hat 🙂 . Ich bin da sehr „objektiv“!
Am vergangenen Sonntag konnte ich den Gottesdienst nur von zu Hause aus miterleben, weil mir die Kraft fehlte, dabei zu sein. Darüber war ich schon ziemlich traurig; zwei Tage vorher hatte Dietlind auch allein nach Stuttgart zur Beerdigung ihrer Mutter fahren müssen. Es wäre unrealistisch gewesen, am letzten Tag des 3. Zyklus der Chemo-Therapie so einen Tag durchstehen zu wollen. Auch da muss der Kopf die Realität des schwachen Körpers akzeptieren. Ich bin aber dankbar, dass es Dietlind dabei gut erging und ihr dieser letzte Abschied nicht mehr so sehr zusetzte; sie kam dankbar über den würdigen Ablauf und das Treffen mit der Familie nach Hause.
In der vergangenen therapiefreien Woche gab es nochmal einen ziemlich üblen Tag, im wörtlichen Sinn. Nicht sicher, was es ausgelöst hat – aber ich musste mich zweimal heftig übergeben. Eventuell waren es die wasserabführenden Tabletten, die ich danach absetzte. Gleichzeitig hatte ich am Morgen wegen der Rückenschmerzen eine starke Schmerzmittel-Dosis genommen, die mich ziemlich benommen und kraftlos machte. Das war ein wirklich schlechter Tag.
Danach ging es mir viel besser, und ich konnte die letzten Nächte sehr erholsam und lang schlafen, und fühle mich jetzt gestärkt für die nächste und vorläufig letzte Runde der Chemotherapie.
Wenn ihr wollt, dürft ihr gerne für uns, für Dietlind und mich, weiter beten, spezifisch für folgende Anliegen:
Besonders ermutigt uns der Austausch mit einem befreundeten gläubigen Ehepaar; sie wohnen ganz in der Nähe. Er hat seit mehreren Jahren dieselbe Krankheit, und weil er vieles ähnliches (und oft schwereres) erlebt hat, verstehen wir uns gegenseitig so gut, und wir können uns darüber austauschen, aber darüber hinaus auch über gute biblische Themen unterhalten und miteinander beten.
Herzlichen Dank!
Andreas